Aileen Schneider „Und am Ende flieg‘ ich weiter“

„Und am Ende flieg‘ ich weiter“ von Aileen Schneider wurde bei den Donnersberger Literaturtagen 2011 mit einem 3. Preis ausgezeichnet. Hier ein Auszug aus dem Text:

Als ich so da sitze, überkommt mich der Drang, zu fliegen.

Ich schaue aufs endlose Meer hinaus und stelle mir vor, wie die Wellen unter mir vorbeiziehen, wie der Wind, der sie antreibt, auch mir den nötigen Auftrieb gibt. Die Sehnsucht, einfach loszulassen, wird unendlich groß. Mein Herz liebt das Gefühl aufzubrechen. Mit seinen Flügeln reise ich, wohin ich will.

Die Klippe erscheint mir, wie das Ende der Welt. So weit mein Auge reicht, liegt vor mir nur Wasser. Wer sagt mir, dass irgendwo da draußen wieder Land ist? Solange ich es nicht sehe, ist es für mich nicht wahr. Nicht in diesem und auch nicht im nächsten Moment – sollte sich der Nebel lichten, der am Horizont hängt.

Das Ende meines Lebens ist nicht das Ende der Welt. Das Ende meiner Welt schon. Aber was soll’s. Am Ende flieg ich einfach weiter. Ich breite meine Arme aus und lass mich einfach fallen. Nichts hält mich auf. Das ist ein Aufbruch in eine neue Welt, genauso gewiss oder ungewiss wie das Land, das da sein mag – hinterm Horizont.

Alles ist gesagt, nichts ist bewiesen. Also hab ich auch keine Angst. Die Angst zu besiegen, das ist die Kunst. Dann kann man auch fliegen, da bin ich sicher. Was uns davon abhält, ist die Furcht davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren, glaube ich. Aber da nichts sicher ist, habe ich auch keine Angst, es zu verlieren. Was bleibt, sind Gedanken, was bleibt, sind Gefühle. Und die wird man immer in sich tragen.

Manche bezeichneten mich in der Vergangenheit als mutig. Als stark. Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Die Angst vor der Ungewissheit werde ich wahrscheinlich nie los.

Zu wissen und zu glauben sind zwei Dinge, die einen Menschen sehr mächtig machen können. Beides zusammen ist das wertvollste Mittel, um die Angst zu besiegen. Viele Menschen haben das bereits geschafft, mehr, als man uns manchmal weismachen will. Weniger, als es sein könnten. Vielleicht gehöre ich ja bald dazu? Im Moment lässt mich die Schwerkraft noch nicht los.

„Es ist wunderschön“, meint mein Vater und ich nicke. Er streicht mir über den Kopf und schiebt dann meinen Rollstuhl durch den Gang zurück zum Ausgang der Galerie. Ich lächle.

Jetzt! Ruft mein Herz und springt in die Fluten. Wenn nicht jetzt, wann dann? Lauf! Ruft mein Kopf und explodiert in Farben. Wenn nicht so, wie dann?

Wie es weitergeht, können Sie in unserer Anthologie „Aufbruch“ nachlesen, die im November 2013 im Geest-Verlag erschienen ist unter der ISBN  978-3-86685-436-9.