Monika Boess: Schatzsuche

© Monika Boess

Die Zeit hat sich zerdehnt, zerfasert, zerlegt. 

Apfelbäume blühen am Wegesrand und Fels-Marie übt den Überschlag am Adlerbogen. Sie schafft es nicht. Landet im grünenden Wald.

 Ich schwärme in den Frühling aus. Die Alsenz ist aus ihrem Bett gesprungen. Gurgelnd rauscht sie über Wiesen und Felder. 

Verschwunden sind die Mühlen im Land, zerbrochen das Mühlrad überall. 

 Seit dem frühen Morgen treiben sich Katzel und ein dicker Kerl auf Hohenfels herum. Sie laufen die Mauern ab. Mit einem seltsamen Gegenstand streichen sie über den Boden. Es scheint mir, sie suchen etwas.

Es sei hier schon einmal etwas gefunden worden, behauptet der Dicke, dem die Atemluft ausgehen will, wie er sich so durch die bucklige Topografie meines Hohenfels kämpft. Aufgeworfene Erdhügel, verschüttete Keller, Mauern versenkt und zerbrochen. Er führt das große Wort. Katzel trägt einen Spaten mit sich. Den Flaschengeist lassen sie nicht kreisen.

Helga, ich sag dir, es lohnt sich do!“ 

Weshalb? Do kimmt doch kee Sau vorbei!“ 

Genauso hot es zu sein!“

Wer soll en do ebbes versteckt hawwe, Willy?“

Er zieht die Luft tief in sich ein. „Do driwwe ging die Römerstraße vorbei und uff de Burg hawwe Raubritter gehockt. Die hon schunn emol ebbes zur Seite gebracht!“

Was erzählt der Narr? Meine Ahnen haben nichts vergraben. Niemals. 

Ich werde Fels-Marie befragen, was die beiden im Schilde führen. 

Sie kennt sich gut in der Moderne aus.

Ein gleißender Himmel hat sich in den Tag gedrängt. 

Am Hirtenfels liegt Fels-Marie im Sauerklee und fängt Sonnenstrahlen ein. 

Auf Hohenfels schnüffeln zwei Lebende wie wilde Hunde rum, Fels-Marie!“, rufe ich.

Sie erhebt ihren zierlichen Schatten aus dem Sauerklee. „Was geschieht da?“

Die Dürre, die ich Katzel nenne, und ein dicker Kerl laufen mit Stecken umher, die Geräusche abgeben!“

Ist am Stecken ein Teller dran, Olinde?“

Ja. Etwas Rundes nahm ich wahr!“

Fels-Marie nickt grimmig: „Sondengänger. Sie suchen einen Schatz!“

Auf Hohenfels?“ 

Ja!“ 

Sie suchen etwas, das es gar nicht gibt, Fels-Marie?“

Ihr Stecken schlägt an, wenn sich ein Metall im Boden befindet!“

Das dürfen sie nicht!“

Dann mach was dagegen, Olinde?“

Was denn?“ 

Fels-Marie lächelt: „Es schaut doch keiner hin!“

Letztes Mal hat mich Zwerg Balduin erwischt!“

Er ist jetzt Zwergenkönig auf Zeit. Bis auf Jerome aus dem Reich Geschiebe haben ihm alle gehuldigt!“, kann Fels-Marie berichten. 

Ich denke drüber nach, Fels-Marie?“

Sie klatscht in die Hände und lacht: „Lass sie das Gruseln lernen, Olinde!“

Ich schwebe und schwebe. 

Grauschwarz, vom Schatten der Bäume gestreift, erhebt sich mein Hohenfels. Zwischen den Steinen grasen Katzel und ihr Dicker mit den klingenden Stecken weiter die Erde ab.

Du musch den Teller parallel zum Bode halte un nit in de Luft mit rumfuchtele!“, belehrt er sie gerade und zeigt ihr mit seinem Stecken an wie sie den Boden zwischen zwei Mauerstücken abtasten soll.

Do is alles so buckelig, Willy!“

Mist!“, schreit der Dicke. Er ist über eine Wurzel gestolpert. Bäuchlings liegt er in den Brombeeren drin. Katzel lacht schallend laut.

Mühsam erhebt er sich: „Dumm Kuh!“ 

Das sah so drollig aus, Willy!“

Un wenn ich mir die Knoche bei gebroche hätt‘, häsch de aach gelacht?“

Du bisch gut gepolstert!“

Halt’s Maul!“

Empfindlich?“

Er schüttelt einzelne Dornen ab: „Weiter geht‘s, Helga!“ 

Wie lang noch?“

Bis mir ebbes gefunne hawwe!“

Un wenn nit?“

Dann ebe nit!“

Saublöd!“

Mach doch Geocaching. Do findest de immer ebbes!“, erwidert er.

Besserwisser!“

Man stolpert nit iwwer einen Schatz!“

Awwer in die Brombeere rin!“

Es langt, Helga!“ 

Katzel seufzt. „Dreihunnert Euro fer den Scheißapparat!“ 

Das kann sich amortisiere!“

Die Hoffnung stirbt zuletzt, gell?“

Banausin!“ 

Grimmig schweigend ziehen sie weiter durch das Gelände. Da plärrt Katzel plötzlich los: „Willy, do, do – do is ebbes!“ 

Der Dicke sputet ran. Katzels Tellerstange klirrt und klirrt. 

Eisensignal. Eindeutig. Hol de Spate, Helga!“, befiehlt er. 

Ich bin ganz nah dran. Er atmet schwer. Das ist Gier. Das macht sein Herz kaputt.

Poch, poch, poch…

Katzel kommt mit dem Spaten angerannt. Der Dicke lässt sich auf einen Buckelquader fallen. Pfeifend stößt er den Atem raus. 

Geht dir die Luft aus, Willy?“

Ich brauch ne Zigarett!“

Mit einem Zauberfeuer entfacht er die Glut an einem weißen Papierstängel. Vom Rauch umhüllt meditiert er über den Steinen. 

Solche Rauchzeichen gab es zu meiner Zeit nicht. Tabak, diese wunderschöne, hellrosa blühende Pflanze, fand erst spät ihren Weg über das weite Meer. Geerntet hängen ihre Blätter in luftigen Scheunen. 

Wir haben vom Fliegenpilz und dem Bittersüßen Nachtschatten genascht. In der Ekstase konnte dies enden. In meinem Garten wuchsen Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche in trauter Eintracht. Die Kelten ziehen sich den Huflattich rein. Den finden sie beim Grasen auf ihrem Weideland.

Do is was, Helga! Ich hon das im Gefühl!“, sagt der Dicke aufgeregt und lässt seine Rauchzeichen ziehen. 

Abwarte!“ Katzel rammt den Spaten in die Erde rein.

Ha! Meine Motte ist ausgeräumt. Einmal wurde ein Römerschatz gefunden. Achtundachtzig Münzen waren es. Die Schleuderkugeln, mit denen ich so gern gewürfelt habe, sind weggebracht worden, zusammen mit der romanischen Kapitale und den Kaminkacheln. Mir sind ein Rest Sattelsteine und Buckelquader geblieben. 

Die zwei da drüben werden nichts mit ihren in die Erde schauenden Stecken finden können.

Katzel gräbt und gräbt. Sie macht das ziemlich gut. Der Dicke schaut zu. 

Do is es, Willy!“ 

Er wirft den brennenden Stängel in das trockene Moos und erhebt sich schwer von seinem Buckelquader. 

Katzel hebt den Schatz aus dem Boden raus.

Schweigen. Langes Schweigen. 

En Stück Zeltstang, Willy!“

Das nächste Mal mache mir ne Hohlraumortung, Helga!“ 

Mach was de willsch!“

Du hosch kee Geduld!“

Ich hon kee Lust de Dreck-weg-Tag uff de Burg mit dir zu mache!“

Er seufzt tief und seine Stimme hat auf einmal den Bass. „Schatz! Mir sin uns doch sunst so einig!“

Sie nickt grimmig. Er legt den Arm um sie. Schmatzend küsst er sie ab.

Solche Spiele dulde ich nicht zwischen meinen Buckelquadern. Ich bin genau genommen eine keuche Frau aus alter Zeit.

Jetzt beginne ich in Form einer Zentralprojektion zu erscheinen. Alles Strahlen geht von einem Punkt aus. Es ist die einfache Form des Materialisierens. Ich beherrsche auch die Parallelprojektion, die etwas mehr an Variationen zulässt, wie etwa meine Hüllenfläche zu verkürzen, zu verlängern oder zu verzerren. Dazu fehlt mir heute aber die Geduld. 

Aus einem Nebel tauche ich in meinem Totenhemd aus groben Leinen auf, verbinde mich mit der Tanne, die von Efeuranken umfangen ist. 

Katzel guckt in meine Richtung. „Komischer Baum do driwwe!“

Er schaut auf: „Das Efeu frisst en uff. Das is en Schmarotzergewächs!“

Unheimlich!“

Was?“

Der Baum. Do hot sich ebbes drin bewegt!“, flüstert sie.

Siehst wohl Gespenster!“

Do is was geflattert!“

Werd en Vogel gewese sein!“

Gehe mir?“

Warum? Is doch gemütlich!“ Er grapscht nach ihr. 

Sie weicht zurück. „Mir is es zu still do, Willy!“

Was macht das?“

Totenstill!“

Duud zum Schatzsuche passe!“

Gefällt mir nit!“

Was?“

Das Rumstochere!“ 

Er lacht: „Die, dene es gehört hot, sin längst nimmer do!“

Un wenn es doch was Übersinnliches gibt?“

Du hosch en Schlag weg, Helga!“ 

Warum streite mir uns immer, Willy?“

Weil de schwer vun Begriff bisch!“ 

Katzel richtet sich auf: „Un du bisch de King, gell?“

Ich bewege mich leicht in der Tanne. Lasse mein Totenhemd wehen. Mehr als ein feiner, heller Streifen ist es nicht.

Do is es wieder!” Katzel zeigt erschrocken zur Tanne hin.

Quatsch!“

Ich will weg!“

Verdrossen nimmt er seinen Schatzsucherstecken und den Spaten unter den Arm. Katzel folgt ihm mit der Tellerstange über den schmalen Pfad.

Ich tauche in den Efeu ein. Tief, sehr tief. Als sie an der Tanne vorüberkommen, gelingt mir ein feines, singendes Stöhnen. 

Sie greift nach seinem Arm: „Willy, hosch de das gehört?“

Was?“

Den Seufzer!“

Du bisch total nebe de Spur, Mädel!“ 

Sie sind zwischen den Bäumen verschwunden. 

 

In das frisch gegrabene Loch werfe ich Blätter der Stinkenden Nieswurz rein. Ihren „Schatz“ haben sie zurückgelassen. Ein rostiges Stück Eisen.

Und da dringt ein Kichern aus der erwürgten Tanne raus. 

Wer da?“ 

Jerome springt aus dem Baum: „Apart, apart, die Dame Olinde im Totenkleid!“

Es musste sein!“

Nicht schlecht!“

Schrei‘ es aus!“ 

Ich? Du kennst uns Kobolde nicht! Wir sind für jeden schlechten Scherz zu haben!“

Warum hast du die beiden nicht verschreckt, Jerome?“

Abwarten. Ich locke sie in mein tiefes Reich. Sie sind gierig nach dem Gold!“

Gold? Seit wann haben wir Gold im Berg?“

Unwichtig. Mein Mundloch steht weit offen. Da können sie sich drin versenken!“

Um dann im Langental zu spuken!“

Ein dicker und ein dünner Schatten, Olinde!“ Sie lacht ihr grässliches Lachen. 

Sie graben nach Schätzen in der Erde und nicht unter der Erde, Jerome!“

Dein Hemd war dünn, Olinde!“

Ja!“ 

Es hat durchgeleuchtet!“

Und?“

Da war nichts!“

Was soll da auch gewesen sein, Jerome?“

Alles Schein?“

Mir genügt es!“

Jerome grinst, dreckig böse. „Wann hast du wieder dein Damenfest?“

In der Johannisnacht!“

Lässt du mich ein?“

Swingard vertritt euch Erdgeister!“

Sie ist eine Zwergin und ich eine Koboldin. Das ist bedeutend mehr!“

Lass mich in Ruhe, Jerome!“

Ruhe, Ruhe, ein ausgefallener Wunsch für eine, die keine Ruhe finden darf!“ 

Gut gesprochen, Jerome!“ 

Sie hüpft aus der Tanne raus. „Bis zur Mitternachtsstunde in der Johannisnacht!“

Nein!“

Wirst du in deinem Totenhemd erscheinen?“

Bis dahin werden noch viele Monde vergangen sein!“

 

Die Segmente trennen sich. 

Vor mir springt Jerome durch Farn und Moos. Ihr Geschrei durchschallt die Waldeseinsamkeit.

 

 

 

aus: Auszug aus einem unveröffentlichten Romanprojekt: “Wir vom Berg – oder die Nachtseite des großen Donnersberges”