Kai Schwarzer „Tomboy“

„Tomboy“ von Kai Schwarzer war mit dem 3. Platz einer der Preisträger bei den Donnersberger Literaturtagen 2019. Hier ein Auszug aus dem Text:

Hier sitzt er nun abends alleine in ihrem Zimmer und fragt sich, was zum Teufel falsch mit ihm ist. Warum ist es nur so schwer, nicht zusammenzuzucken, wenn über sie geredet wird und er zuhören muss? Was macht es so schmerzhaft, sie ihr Leben leben zu lassen und einfach zu verschwinden? Er war schon immer da, auch wenn er sich selbst erst vor einigen Jahren gefunden hat. Und sie fühlt sich so falsch an, wie eine zweite Haut, die Rolle eines Schauspielers, der für alle immer diese Rolle bleiben wird, durch sie definiert wird. Wo ist das Problem beim Glücklichsein? Warum kann er nicht sein eigenes Leben haben, das nicht durch ihres überschattet wird?

Je häufiger er sich so alleine selbst in Frage stellt, desto weniger versteht er das alles. Und doch, eines Tages stößt er auf diesen Film, „Tomboy“ und erkennt sich wieder. Dieses Wort, es passt dennoch nicht wirklich zu ihm und vermutlich auch nicht zu dem Kind in dem Film. Er stellt Nachforschungen an, durchstreift das Internet auf der Suche nach Antworten und findet Kurzfilme, Wörter, Texte, erkennt, dass er nicht falsch ist. Stattdessen merkt er, dass es immer sie gewesen ist, die nicht existieren sollte und irgendwie tat sie das auch nie wirklich. Die Menschen um ihn herum sehen jedoch nur sie, die sie seit seiner Geburt erwarten zu sehen. Er kann es immer noch nicht beschreiben, es ist ja nur ein Gefühl, aber es ist so, als sei er noch nicht lebendig. Sie lebt durch ihn, unternimmt etwas, geht ihrem Alltag nach und erfüllt ihre Pflichten. Er jedoch ist wie noch nicht geboren, existiert in den Augen der Menschen schlicht nicht. Er selbst ist noch nicht in seinem Leben angekommen, aber damit er das erreichen kann, muss sie verschwinden.

Doch wie kann er das erreichen?

Wie es weitergeht, können Sie in unserer Anthologie „Zwischen den Stühlen“ nachlesen, die 2021 im Geest-Verlag erschienen ist unter der ISBN  978-3-86685-840-4.