„Das Zimmer des Bruders“ von Patricia Heisinger wurde bei den Donnersberger Literaturtagen 2007 mit dem 3. Preis ausgezeichnet. Hier ein Auszug aus dem Text:
Dunkelheit dringt durch die Fenster in den Raum. Es scheint schon lange her zu sein, dass das Zimmer von hellen Sonnenstrahlen erwärmt wurde. Es fröstelt sie, kein Wunder, es ist November und das Fenster leicht gekippt. Der Vorhang weht in einem sanften Lüftchen, das durch die Straßen zieht. Die vom Mond angestrahlten Bäume wiegen sich im Wind und werfen Schatten auf die Vorhänge, die wie die bösartigen Fratzen der Geister aussehen, die sie Nacht für Nacht verfolgen. Mit nackten Füßen läuft sie über den weichen, blauen Teppich, legt ihre Hand auf den Fenstergriff, drückt das Fenster zu und schiebt den Griff langsam nach unten. Das Mobile, dass sie ihm vor langer, langer Zeit gebastelt hatte, klimpert immer weniger, bis es kurze Zeit später ganz verstummt. Zum Schweigen gebracht durch die Stille. Die Köpfe der Lilien hören auf im Wind zu tanzen, neigen ihr Haupt nach vorne und se-hen zu den vertrockneten Blättern auf dem Boden. Nun können sie endlich ruhen und bald werden auch sie sich auf dem Boden wieder finden, bei ihren geliebten Freunden.
Das letzte Lebenszeichen ist gänzlich erloschen.
Sie setzt sich auf das Bett. Nico ist nicht da. Die Decke unberührt. Sie schlägt sie um und legt sich langsam zwischen die Kissen. Mit Daumen und Zeigefinger reibt sie sie in ihrer Hand. Sie ist angenehm weich.
Immer machte sie diese nächtlichen Wanderungen, wenn er nicht da war. Immer!
Nico war 23, ging auf Partys, hatte eine Freundin und studierte in einer anderen Stadt. Mit dreizehn kann sie da natürlich nicht mithalten. Sie darf noch in keine Clubs und Alkohol trinken ist für sie auch tabu. Doch wenn er weg war, schrieb er ihr Briefe, damit sie ihn nicht vermisste, und sie schlief heimlich in seinem Zimmer oder lag dort zumindest bis in die Nacht. Die meisten Mädchen wollten früher immer ihren Vater heiraten. Sie nicht! Ihre erste große Liebe war Nico gewesen, ihr großer Bruder.
Langsam zieht sie die Schublade des Nachttischs neben sich auf, dort liegt eine Tafel Schokolade, immer wenn er weg war, legte er ihr hier etwas Süßes hinein, wie schlafend liegt sie dort, die lila „Milka“-Tafel, und verdeckt einen kleines Briefchen von ihrem Bruderherz, das er ihr dazu gelegt hatte, wie er es so oft getan hat. Sie zieht es unter der Schokolade heraus.
„Hey Schwesterlein, ich bin bald zurück von München,…“
Wirklich? Sie vermisst ihn so sehr.
„… schon am Ende der Woche bin ich wieder bei Dir! Die Schokolade ist für Dich, denk an mich, wenn Du sie isst, dann vermisst Du mich auch nicht so sehr …“
Wie es weitergeht, können Sie in unserer Anthologie „ZimmerLautStärke“ nachlesen …