„Silent Prince“ von Olivia Schüssler wurde bei den Donnersberger Literaturtagen 2011 mit einem 3. Preis ausgezeichnet. Hier ein Auszug aus dem Text:
Ich lausche. Der Wind weht ums Zelt. Eine Plane flattert. Das Flattern wird stärker, der Wind nimmt zu. Ich warte. Das Flattern wird leiser, hört auf. Ich liege da, mit geschlossenen Augen. Ein starker Windstoß erfasst die Plane, das Flattern wird immer lauter, die Plane wird zur Seite gerissen. Der Wind wird wieder schwächer, weht in regelmäßigen kleinen Stößen. Ein leichter Luftzug streicht über meine Arme, ein Schauer läuft mir den Rücken herunter und ich bekomme eine Gänsehaut. Das flüchtige Bild von wehendem blondem Haar durchzuckt meine Gedanken. Verwirrt öffne ich meine Augen. Ich liege auf meiner linken Seite und vor mir erstreckt sich eine große Fläche. Eine skurrile Landschaft, geschaffen von Licht und Schatten, Natur und Menschenhand. Es ist die Zeltwand, hell aufglühend, fast orange, und durchzogen von den Schatten der Zeltleinen. Langsam setze ich mich auf und schäle mich aus den Decken. Die nächtliche Kälte der Wüste liegt noch über dem Land, ich reibe meine Hände um sie wenigstens ein bisschen aufzuwärmen. Ich fühle, dass etwas fehlt. Jemand. Mein Blick gleitet zu meiner Rechten, der Platz ist leer. Allein die Bastmatte und der zerwühlte Schlafsack zeugen davon, dass dort jemand letzte Nacht lag und schlief. Jemand, der mich mit seiner Anwesenheit wärmte und meinen Schlaf bewachte. Langsam krabbele ich zum offenen Zelteingang, schlüpfe in meine Schuhe und stecke den Kopf nach draußen. Die aufgehende Sonne blendet mich. Blinzelnd und mit einer Hand vor den Augen schlüpfe ich aus dem Zelt und richte mich auf. Die Luft ist noch frisch. Eine unendliche Ebene liegt zu meinen Füßen. Harter, ausgetrockneter Boden, von Rissen durchzogen. Nach allen Seiten erstreckt sich diese Fläche, nicht enden wollend, bis zum Horizont. Hier und da zwängt sich tapfer ein kümmerlicher Strauch aus einem Riss hervor und reckt seine dünnen, fast blätterlosen Zweige in den wispernden Wind, aber sonst gibt es nichts in dieser kargen Landschaft. Halt. Sagte ich nichts? Das stimmt nicht ganz. Er steht mit dem Rücken zu mir und lauscht in den Wind. Ganz still. „Guten Morgen…“ Die Worte kommen zögerlich aus meinem Mund, meine Kehle ist trocken und meine Stimme kratzig, ich habe Durst. Er dreht sich um und zum ersten Mal kann ich ihn von oben bis unten betrachten. Mein Blick wandert von den schwarzen kurzen Haaren zu braunen warmen Augen und weiter über die schwarzen Klamotten, hinunter zu den Stiefeln. Sie sind halb aufgeschnürt und sehen schwer aus, trotzdem bewegt er sich mit einer geschmeidigen Lässigkeit, als er langsam auf mich zukommt. Mein Blick schweift zurück zu seinen dunklen Augen. Mir fallen seine ungewöhnlich langen schwarzen Wimpern auf, welche sie sanft umschatten. Er reicht mir eine lederne Flasche, sein Blick huscht nur kurz über mein Gesicht, bleibt an meinen Augen hängen, dann weicht er aus. „Morgen. Hast du Durst?“ Nickend und mit einem leisen Lächeln nehme ich die Lederflasche aus seiner Hand und fange an zu trinken. Das Wasser ist kalt und erfrischend. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Umrisse eines Brunnens, doch bevor mein Verstand das Bild fassen kann, ist es auch schon wieder verschwunden. Mein Begleiter steht vor mir, die Hände in den Taschen, und sieht mir zu. Als er den Kopf dreht, fällt mir auch das ringförmige Piercing an seinem linken Ohr auf. Er sieht genauso normal aus, so alltäglich, wie ich. Und doch …
…
Wie es weitergeht, können Sie in unserer Anthologie „Aufbruch“ nachlesen, die im November 2013 im Geest-Verlag erschienen ist unter der ISBN 978-3-86685-436-9.